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Biografie
Erster Teil

1900-1918

Jugend in Wien

 

Ausbildung

Mutter als Vorbild
Carl Goetz-Duett

Ries-Lieder

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Von der Weltstadt in die Provinz

Geboren wurde Willy Heinz Müller in Wien im Jahr 1900, gestorben ist er 1974 in St. Gallen. Hinter diesen beiden nüchternen Jahreszahlen und Orten verbirgt sich ein Leben, das grossstädtisch begann, sich hochdramatisch fortsetzte und beschaulich endete. Gegensätzlicher könnten die Lebenswelten Müllers nicht sein: Hier das inspirierende Kulturleben Wien, damals eine der bedeutendsten Musik- und Theatermetropolen Europas mit 1,7 Millionen Einwohnern, dort die bürgerlich-beschränkte Einfachheit im schweizerischen St. Gallen mit 60'000 Einwohnern.

Geboren wurde der Komponist am 16. Februar 1900 in der damaligen Kaiserlich-Königlich-Österreichischen Hauptstadt Wien als Wilhelm Franz Heinrich Marie Müller. Er war das zweite von vier Kindern des Ehepaares Heinrich und Clementine Müller-Muchmayer, deren Herkunft und Passion weit auseinanderklafften. Der Vater war Angehöriger der Kaiserlich-Königlichen Armee des österreichischen Kaisers Franz Josef und diente als Artillerie-Ingenieur des Reichs-Kriegsministeriums. Die Mutter war ausgebildete passionierte Sängerin aus hohem Stand ungarischer Hofräte und Militärs. Bei Konzerten trat sie meistens unter ihrem Künstlernamen Minka von Mariot auf.

Die österreichisch-ungarische Monarchie und die Verbindung der Kultursphären von Österreich und Ungarn waren für den heranwachsenden Willy omnipräsent. Wien bot Konzerte, Operetten und Opernaufführungen auf höchstem Niveau: Im Kolosseum, das zum Kino umgewandelt worden war, erlebte er Stummfilme mit Live-Musik, im Musikverein besuchte er Orchesterkonzerte, und im Theater gab es Operetten und musikalische Possen von Nestroy und Raymund. Dank einer Einladung des reichen Ehepaars Eberan von Elmenhorst erlebte er am 19. April 1914 in der Hofoper gar eine Aufführung von Wagners «Walküre», die er «herrlich, entzückend, wunderbar, unaussprechlich grossartig, phänomenal» fand.

Schon als Kleinkind zeigte sich sein grosses musikalisches Talent, das von seiner Mutter mit Klavier- und Gesangsunterricht gefördert wurde. Auch im Gitarrenclub in Wien war er Mitglied und unterrichtete Jugendliche in diesem Instrument, darunter die beiden Kinder des ungarisch-stämmigen August Stoll, Oberregisseurs der Staatsoper und ausgebildeter Tenor. Daneben nahm er wöchentlich Geigenstunden in der angesehenen «Musikschule Duesberg», wo er im Orchester bereits mit 14 Jahren die Stelle des Stimmführers der zweiten Geige bekleidete. Dirigent des Orchesters war Hermann von Schmeidel, der ab 1915 den Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und das Tonkünstlerorchester dirigierte. 

Das war bereits mitten im Ersten Weltkrieg, der für Willy Müller mit dramatischen Veränderungen verbunden war. Der Vater musste 1914 ins Feld, er diente bis zum Kriegsende 1918 in der kaiserlichen Armee. Seinen Sohn hatte er zuvor freilich gezwungen, die Handelsakademie zu absolvieren und Musik höchstens als Hobby zu bestreiten. Ein herber Schlag für den Musikenthusiasten, der allerdings nicht aufgab und parallel weiter Musik studierte. So gründete er zusammen mit drei Kommilitonen, darunter dem Sohn des Oberregisseurs der Hofoper, Peter Stoll, ein Streichquartett, für welches Willy Müller erste Werke komponierte. 

Am 2. August 1916 starb seine geliebte Mutter und Musikmentorin nach langer Krankheit in Wien. Sie hatte Willy Müllers musikalische Entwicklung akribisch begleitet und mit ihm regelmässig im Freundeskreis musiziert, ob mit Klavier zu vier Händen, Klavier und Violine oder Klavier und Gesang. Mit ihrem hohen Koloratursopran hatte sie auch regelmässig in Konzerten gesungen, wovon ein erhaltenes Noten-Kompendium zeugt. Darin befinden sich etwa Duette von Béla Lasky, Eugen Hildach und Carl Götze, sowie Lieder von Franz Ries, die sie nachweislich öffentlich gesungen hat. 

Intermezzo Ries

Franz Ries (1846-1932) war ein angesehener Violinvirtuose, musste aber 1873 wegen eines Nervenleidens aufgeben und baute in Dresden einen Musikverlag auf. Darin gab er auch eigene Werke, darunter viele Klavierlieder heraus, die stark den Musikgeschmack der Zeit spiegeln. Gehobene Salonmusik war damals ein gefragtes Musikgenre, wie die Sechs Klavierlieder op. 31 beweisen. In ihrer schmelzenden Melodik nähern sie sich der Operette an, ohne die Nähe zum klassischen Klavierlied aufzugeben. Sie vermitteln ein wunderbares Zeitbild, das zu Willy Müllers musikalischer Entwicklung passt, zumal sie auch von seiner Mutter gesungen wurden.

Gegen Ende des Ersten Weltkriegs wurde Willy Müller trotz aussichtsloser Lage ins Kaiser-königliche Festungs-Artillerie Regiment eingezogen – für den sensiblen jungen Musiker ein traumatisches Erlebnis. In seinem seit Januar 1914 geführten Tagebuch sinniert er regelmässig über Vergänglichkeit, über Krieg, Seelenbefindlichkeit, Liebe und metaphysische Phänomene nach, typische Themen des Fin de siècle, die auch in seinem Komponieren präsent blieben. Trotz der mehrfachen Belastung durch zwei Studiengänge und den Kriegsdienst schloss er sein Musikstudium bei August Duesberg in den Fächern, Geige, Klavier und Dirigieren erfolgreich ab.

Es muss was Wunderbares seinÄneas Humm, Judit Polgar
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